
Wir sprachen mit Dr. Adriana Lettrari, Geschäftsführerin der Ehrenamtsstiftung MV in Güstrow.
Frau Lettrari, wie geht es den Vereinen in der vierten Welle der Pandemie?
AL: Wir leben in einer Zeit ohne Planbarkeit. Unsere Aktivitäten können von heute auf morgen undurchführbar werden. Das trifft auch Vereine hart. Die Ehrenamtsstiftung MV hat trotz Pandemie auch 2021 wieder 558 Vereine bei ihren ehrenamtlichen Vorhaben finanziell unterstützt. Die Aktivitäten bewegen sich also weiter fast im Normalniveau. Dennoch erreichen uns derzeit wieder erste Notsignale in den Bereichen der finanziellen Förderung und der Rechtsberatung. Einige ziehen ihre Projekte zurück, andere verschieben diese auf später. Das, was geht, wird noch gemacht. Ansonsten, so scheint es, ist erstmal Überwintern angesagt.
Bedeutet das Stillstand im Vereinsleben?
AL: Nein. Überwintern kann ja auch eine Chance sein. Man hält inne, sammelt Kräfte für den Neuanfang – der auch inhaltlich ein Neuanfang sein kann, weil man die Zeit genutzt hat, um gemeinsam über die Zukunft des Vereins nachzudenken. Was wir jetzt erleben, ist wie eine vierte Trainingsrunde für die digitale Zusammenarbeit. Und wir sehen: es geht. Digitale Begegnung ist kein Ersatz für die reale, aber eine Überbrückung – und das ist in einem Flächenland wie MV doch eine gute Nachricht. Das, was in den ersten drei Wellen digital gelernt wurde, kommt nun viel routinierter zur Anwendung – etwa bei digitalen Mitgliederversammlungen oder bei Vorstandstreffen. Die vierte Welle ist eine erneute Anforderung an unsere Flexibilität. Es geht darum, jetzt mental zusammen bleiben und die Zeit zur Reflektion, zur Sortierung und vielleicht zur Neuausrichtung zu nutzen. Denn wir leben in einer Zeit des Wandels. Die wird nach Corona nicht vorbei sein, sondern erst richtig losgehen.
Das klingt nach großen Herausforderungen für kleine Vereine. Gibt es da Unterstützung?
AL: Ja natürlich. Um Vereine in diesem Wandel zu unterstützen, hat die Ehrenamtsstiftung MV das Programm Organisationsentwicklung im Verein entwickelt – übrigens nach einer Bedarfsumfrage unter den Vereinen im Land Anfang 2021. Wir haben gesehen: viele Vereine wissen nicht, wie sie in Zukunft die Arbeit machbar aufteilen oder neue Engagierte für sich gewinnen können, ob ihre Aktivitäten noch zeitgemäß sind oder ihre Arbeitsmethoden. Wir haben ein Praxis-Handbuch mit Beratungsprogramm dafür entwickelt. Wir begleiten Vereinsteams in ihren individuellen Fragestellungen mit professioneller Hilfe. Wer sich mit anderen Vereinen darüber austauschen möchte, ist im Netzwerk #Engagement neu gedacht am 24. Februar 2022 herzlich willkommen.
Hilfe suchen, kann man sich als Verein aber auch über das Online-Portal „Gutes tun in MV“. Hier kann man den Verein einem großen Publikum vorstellen und über Mitmach-Angebote neue Engagierte für sich gewinnen. In allen rechtlichen Fragen, z.B. zur Anpassung von Satzungen unterstützt unser Referent für juristische Beratung. Über unsere klassische Förderung kann man natürlich auch den Laptop für die Vereinsarbeit beantragen. Auch zur Weiterbildung kann man diese Phase nutzen. Auf unserer Website finden sich ein paar Anregungen.
Wo sehen Sie die größten Unterstützungsbedarfe?
AL: Wir haben im Land 12.207 Vereine. Ca. 4000 konnten wir in den vergangenen Jahren mit konkreten Leistungen unterstützen. Da ist eine enorme Wachstumskurve, aber wir wollen noch mehr erreichen. Das tun wir mit Themen, die relevant für alle sind: Wir geben den Vereinen das Werkzeug an die Hand mit dem sie sich als Organisation weiterentwickeln, die Vereinsführung zeitgemäß aufsetzen, ihre Zusammenarbeit über digitale Tools organisieren und über Freifunk die nötige Netzkapazität gleich mit aufbauen können. Aber auch Impulse zur Gewinnung neuer Engagierter sind gefragt. Ebenso wollen wir neue Wege in der Zusammenarbeit mit Unternehmen gehen. Denn diese beschäftigen Mitarbeiter:innen, die sich in ihrer Freizeit engagieren. Dafür brauchen sie Zeit. Die Frage, was Unternehmen tun können, um gute Rahmenbedingungen für Engagement zu schaffen, haben einige schon ganz pragmatisch beantwortet. Sie geben ihren Mitarbeiter:innen zwei Tage mehr Urlaub für ihr Engagement – so wie Melanie Rocksien-Riad, Geschäftsführerin von Interliving MMZ. Sie ist seit Ende 2021 auch Mitglied im Konvent der Ehrenamtsstiftung MV und bringt ihre Impulse in die Stiftungsarbeit ein.
Wie organisieren Sie die Arbeit der Stiftung im Jahr 2022?
AL: Nun, auch wir bieten vieles digital an, aber wir wollen ganz klar reale Begegnung und Austausch. Wir legen unsere großen Veranstaltungen deshalb primär auf die Zeit zwischen Mai und September. Am 25. Juni 2022 laden wir Vereinsteams zu unserem „Praxistag – Engagement leicht gemacht“-Tag ein. An diesem Tag kann jedes Team gleich vor Ort mit unserer Hilfe ein bis drei Probleme lösen.
Wir fördern junges Engagement, denn viele junge Leute sind sehr engagiert, nur eben anders. Über den Landespreis „Engagement macht Schule“ am 18. Mai zeichnen wir gute Ansätze aus, Engagement schon in den Schulunterricht einzubinden. Mit der Freiwilligen Feuerwehr gehen wir ganz konkret das Thema Nachwuchsgewinnung an, das in einem Zeltlager für 1000 junge Engagierte seinen Höhepunkt finden soll. Wir sammeln gute Ansätze, um das Thema Nachwuchsgewinnung im Verein anzugehen. Das begleiten wir natürlich kommunikativ, um das Wissen auch zu teilen.
Sie sagen, junge Leute sind sehr engagiert. Das ist nicht unbedingt die Sichtweise vieler Vereine.
AL: Ja, tatsächlich zeigt der Freiwilligensurvey 2019, dass die Gruppe der 14-19-Jährigen mit 51 % die engagierteste aller Altersgruppen ist. Danach kommen mit 48 % die Berufstätigen zwischen 30 und 49 und erst dann mit 38 % die Altersgruppen am Übergang zwischen Berufsleben und Unruhestand. Das sind die neuesten Zahlen, die wir haben. Keine gute Grundlage, um Unterstützungsleistungen gut auszusteuern, denn dazwischen liegt eine ganze Pandemie mit all ihren Herausforderungen und Umwälzungen. Deshalb erfragen wir die Bedarfe unter den Vereinen nun selbst. Zusammen mit der Hochschule Neubrandenburg will die Ehrenamtsstiftung MV den Engagement-Monitor Mecklenburg-Vorpommern erstellen. Die Daten sollen allen engagementfördernden Einrichtungen im Land dienen, ihre Unterstützungsleistungen passend auszurichten. Denn ein Aufgeben unter Engagierten können wir uns nicht leisten. Im Gegenteil, wir brauchen jede:n, die/der sich konstruktiv in die Gemeinschaft einbringen will.